Über diese Mechanismen habe ich nachgedacht. Und da kam mir die Idee, genau das nicht zu machen. Die Menschen nicht von ihrer Schuld zu erlösen. Meine Zombies sind keine klassischen Zombies, sie sind Menschen. Sie denken und sie sprechen. Aber sie sind ohne jeden Zweifel böse. Dadurch geht das Ganze eher in Richtung
Ein Mann sieht rot (1974). Auch dort gibt es diese bösen Menschen, und es ist akzeptabel, diese Menschen zu töten, weil sie eben böse sind.
Tatsächlich haben wir uns dafür entschieden, den Film im Zombiegenre anzusiedeln, weil er so leichter zu vermarkten ist. Die Zuschauer sind schneller dafür zu begeistern, und gleichzeitig können sie nach dem Film darüber diskutieren, ob er überhaupt ein Zombiefilm ist oder nicht. Demnach war es eigentlich ein strategischer Zug. Wenn du den Film als extrem sadistischen und bösartigen Zombiefilm verkaufst, macht ihn das für den Markt interessanter. Die Leute von Raven Banner Entertainment hatten die Idee,
The Sadness als Zombiefilm zu bezeichnen, aber für mich ist es keiner. Es geht um Menschen und um Selbstfindung, und das an einem wirklich dunklen Ort.
Jenseits der ästhetischen Grausamkeit und der atemlosen Furcht ist die klare Stärke deines Films diese allumfassende Traurigkeit. Trotz des heftigen Adrenalinschubs, den uns dein Film beschert, haben wir Betrachter mit einer bittersüßen Melancholie zu kämpfen. Sie ist es auch, die uns nach dem Genuss deines Films am längsten nachhängt. Ich empfinde diese Traurigkeit überdeutlich, aber kannst du mir dein Konzept der Traurigkeit näherbringen?
Das ist leicht zu beantworten. Wir sind so daran gewöhnt, extrem brutale Filme zu sehen. Wir erleben die Gewalt als eine Form der Katharsis. Und deshalb wollen die Leute unterhaltsame und leicht konsumierbare Gewalt sehen. Ich habe Rezensionen zu meinem Film gelesen, in denen die Leute bedauern, dass mein Film so unbequem ist. Es stört sie, dass diese sexuelle und realistische Gewalt darin vorkommt, da ihnen der Film ohne diese Komponenten deutlich mehr Spaß gemacht hätte. Aber genau das wollte ich nicht machen. Es ist lustig, dass die Leute immer denken, dass Gore dazu da wäre, sie zu unterhalten. Natürlich hätte ich etwas so Extremes, aber vor allem Buntes wie Peter Jacksons
Braindead (1992) machen können. Aber ich wollte stattdessen dieses Gore-Element nehmen und dennoch die Gewalt zeigen, wie sie ist. So wie ich das sehe, ist Gewalt tatsächlich das Schlimmste, wozu Menschen fähig sind. Wenn du die Gewalt ernst nimmst, dann verstört das viele Zuschauer. Aber genau das ist Gewalt! Vielleicht sollten diejenigen, die Gewalt immer verherrlichen wollen, einmal einen Schlag ins Gesicht bekommen, denn das ist schrecklich. Es ist mehr als nur schmerzhaft, es ist entwürdigend. Und sobald du Gewalt auf realistische Weise darstellst, gewinnt die Traurigkeit an Bedeutung und rückt in den Vordergrund. Wenn wir sehen, wie Menschen anderen Menschen Gewalt antun und diese Ausübung der Gewalt auch noch genießen, sind wir verstört, und das ist es, worum es mir geht. Ich will meinen Film ernst nehmen, und ich will die Gewalt ernst nehmen. Es gibt Momente im Film, da hätte ich noch viel weiter gehen können, noch viel mehr zeigen können. Aber das wollte ich nicht. Das hätte es pervertiert und es in einen Witz beziehungsweise eine Farce verwandelt. Wenn ich eine Vorstellung in deinem Kopf kreiere, aber dann die Perspektive der Kamera verändere und nur die Reaktion einer Person zeige, dann kann ich den ganzen Terror einfangen, aber es wird keine Exploitationszene daraus. Ich mag diese Filme, aber das ist nicht das, was ich machen wollte. Ich wollte Exploitation im Sinne der grundlegenden Bedeutung des Wortes Ausbeutung vermeiden. Denken wir an die 1970er und 1980er und an Filme wie
Ich spuck\' auf dein Grab (1978). Die Botschaft des Filmes ist: Vergewaltigung ist böse! Aber zur gleichen Zeit schwingt ein Unterton mit, der flüstert: Schau dir diese sehr explizite Vergewaltigungsszene an! Nicht schlecht, oder? Das ist es, was einen Exploitationfilm ausmacht. Er zeigt die Szenen, von denen du ganz genau weißt, dass sie böse und verwerflich sind, von denen du dich aber gleichzeitig dennoch angezogen fühlst. Ich habe das immer als unmoralisch empfunden. Ich denke, ich habe Elemente dieser Filme genommen, um dann verantwortungsbewusster damit umzugehen. Natürlich gibt es viele Menschen, die denken, dass ich genau das Gegenteil von dem mache, was ich gerade gesagt habe. Dass ich nur irgendein Typ bin, der dich schockieren will und der denkt, dass Vergewaltigung lustig ist. Es gibt viele Leute, die meinen Film gar nicht verstehen.
Du hast gesagt, dass vielleicht nicht alle mit der Botschaft des Films einverstanden sind. Was, würdest du sagen, ist die Botschaft des Films?
Ich würde es vielleicht nicht Botschaft, sondern Thema nennen. Im Film geht es um Einsamkeit. Für mich ist die zentrale Figur der Geschäftsmann. Oder vielleicht auch der Doktor. Oder Molly. Die sogenannten Hauptfiguren des Films, Jim und Kat, sind für mich eher Avatare, mit denen sich die Zuschauer identifizieren können. Man kann sich in diese Charaktere hineinversetzen. Es kann die Immersion erleichtern, wenn man sich fragt, wie man selbst in dieser Situation handeln würde. Thematisch gesehen ist der Geschäftsmann dennoch viel zentraler. Er weiß nicht, wie er Verbindung zu anderen aufbauen soll. Er weiß nicht, wie man eine echte romantische Beziehung führt. Es ist, als würde er einfach nicht dazugehören, und ich denke, dass es einigen Menschen da draußen so geht. Wir alle fühlen uns manchmal so, aber er kann diesem Gefühl nicht entkommen. Er hat seit Jahrzehnten denselben Job, vielleicht ist sein Boss Jahrzehnte jünger als er selbst, und er fühlt sich vom System im Stich gelassen. Er nimmt jeden Tag den Zug zur Arbeit, und manchmal sieht er diese junge Frau, und er entwickelt heimlich diese seltsame Verliebtheit für sie. Er liebt sie aus der Ferne, und in seiner Wahrnehmung ist diese Liebe süß und unschuldig, aber wenn es jemand wüsste, wäre es schrecklich und erbärmlich. Eines Tages infiziert er sich mit diesem Virus, das seine ganze Welt verändert und mit einem Mal alles möglich macht. Und plötzlich ergibt sein Leben einen Sinn, und alles hat eine Bedeutung. Es ist der beste Tag, den er jemals gehabt hat. Aber das geht auf Kosten aller anderen, auf Kosten des Anstands und sogar des menschlichen Lebens. Schmerz, Leid, Verstümmelung. Das Virus hilft dysfunktionalen Menschen dabei, endlich ein funktionierendes Leben zu führen. Kat und Jim hingegen haben ein funktionierendes und glückliches Leben. Aber auch in diesem Fall dreht das Virus alles um, und es zerstört das Glück. Mit Molly verhält es sich ähnlich wie mit dem Geschäftsmann. Aber wir tauchen nicht zu tief in ihren Charakter ein, weil das gar nicht notwendig ist. Weil wir eine ähnliche Geschichte eben nicht zweimal erzählen müssen, um sie zu verstehen. Es reicht, wenn wir das Bild vermittelt bekommen. Der Doktor ist nahezu glücklich, dass das alles passiert. Das Virus gibt seinem Leben einen Sinn. Generell könnte man sagen, dass es im Film um den Sinn des Lebens geht. Aber die Geschichte ist fucked up, und sie wird ultrabrutal erzählt. Aber dennoch geht es darum, Glück zu finden. Ganz am Ende des Films stellen wir fest, dass extreme Brutalität und reine Liebe von nun an untrennbar miteinander verbunden sind. Die Liebe ist die grausamste Brutalität, die du dir vorstellen kannst. Das ist die Traurigkeit. Die ultimative Tragödie.
Das vollständige Interview lest ihr in DEADLINE - Das Filmmagazin #91 und im Mediabook zum Film.